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Spannungsfeld Soldatenfriedhof

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Am Volkstrauertag findet die zentrale Gedenkfeier des Landkreises jedes Jahr auf dem Soldatenfriedhof in Hofkirchen statt. In der Rotunde sind die Namen der Toten aufgelistet. Dass auch SS-Männer hier ihre letzte Ruhe fanden, wurde bisher nicht thematisiert. −Fotos: Toni Scholz

 

 

Hofkirchen.

Seit 1959 gedenken Landräte, Bundeswehr und Bürger auf dem Soldatenfriedhof in Hofkirchen im Landkreis Passau der Opfer des Zweiten Weltkriegs.

2747 Menschen sind in der Kriegsgräberstätte beerdigt – unter ihnen auch Täter, wie Historiker und Grünen-MdL Anton Schuberl jüngst recherchiert hat (PNP berichtete). Hofkirchen ist Ruhestätte von 369 SS-Männern. Ein Stabsfeldwebel des SS-Wachbataillons des KZ Sachsenhausen, ein SS-Unterscharführer aus dem KZ Flossenbürg, vier Unterscharführer von SS-Totenkopfstandarten etc. sind darunter.

Jedes Jahr im November findet der landkreisweit zentrale Gedenkakt zum Volkstrauertag auf dem Soldatenfriedhof bei Hofkirchen statt. Sollte das neugewonnene Wissen Art und/oder Ort des Gedenkens verändern? Für den Passauer Landrat steht sie in der jetzigen Form in keiner Weise zur Diskussion und soll weiter so begangen werden. Wir haben nachgefragt, was Experten sagen, die sich durch ihren Beruf oder Projekte jahrzehntelang mit dem Thema beschäftigt hab

en.

Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge betreut mehr als 830 Kriegsgräberstätten in 46 Staaten, auf denen rund 2,8 Millionen Kriegstote bestattet wurden. Jörg Raab, bayerischer Landesgeschäftsführer, teilt seine Einschätzung im Interview.

Sollte der Volkstrauertag weiterhin an der Gedenkstätte in Hofkirchen begangen werden?
Raab: Ja. Den in Hofkirchen ruhenden Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft weiterhin in würdiger Form am Volkstrauertag zu gedenken, ihr Schicksal und das ihrer Familien in Erinnerung zu rufen, ist eine humanitäre und gesellschaftspolitische Verpflichtung, für deren Wahrnehmung über so viele Jahre und auch künftig der Volksbund dem Landkreis Passau und den an der Organisation Mitwirkenden sehr dankbar ist. Auf den Kriegsgräberstätten in Bayern ruhen neben deutschen Soldaten des Ersten und des Zweiten Weltkrieges auch zahlreiche zivile Opfer des Krieges, ausländische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, hingerichtete Deserteure und Widerstandskämpfer sowie weitere Opfer der NS-Gewaltherrschaft. An ihren Gräbern nicht mehr zentral am Volkstrauertag zu gedenken, weil einzelne dort ebenfalls beigesetzte Personen unzweifelhaft schwere Schuld auf sich geladen haben, muss widersinnig und wie eine pauschale Verurteilung aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft erscheinen.

Ist die derzeitige Handhabung ein Problem?
Raab: Auf Kriegsgräberstätten ruhen auch Menschen, die in unterschiedlichem Umfang und Intensität an Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt waren. Vielen dieser Toten wird man ihre individuelle Schuld nicht bzw. nicht mehr nachweisen können, andere wurden von Gerichten noch zu Lebzeiten oder nachträglich zu Kriegsverbrechern erklärt oder von anerkannten Historikerkommissionen als Schuldige überführt. Die Tatsache allein, dass jemand Angehöriger der SS war, reicht nicht aus, ihn als Kriegsverbrecher zu deklarieren. Zur überwiegenden Zahl der Toten auf Kriegsgräberstätten im In- und Ausland sind keine biographischen Details bekannt. Eine Überprüfung aller Biografien ist schlicht nicht möglich bzw. zu leisten. Auch NS-Täter, die dort begraben sind, mögen ihre letzte Ruhe finden, obwohl sie unaussprechliches Leid über viele Menschen und ihre Familien gebracht haben. Ihre Verbrechen sind uns jedoch zugleich Aufforderung, aus der Geschichte zu lernen und auch unter schwierigen Umständen stets für die Achtung der Menschenrechte und -würde einzutreten. Kriegsgräber mahnen. Eine Kriegsgräberstätte ist zudem, bei aller stattfindenden bzw. wünschenswerten Nutzung als historischer Lernort, auch weiterhin für die Angehörigen ein Ort der Trauer.

Was würden Sie empfehlen, wie man in Zukunft damit umgehen soll?
Raab: Der seit 2022 in der Presse geführte Diskurs sollte im Rahmen der nächsten Volkstrauertagveranstaltung durch den Veranstalter beziehungsweise den Gedenkredner thematisiert werden. Mit Genehmigung und Finanzierung seitens der Friedhofsträger können Geschichts- und Erinnerungstafeln erstellt werden. Diese geben Auskunft über den politisch-historischen Kontext, die Entstehung und Gestaltung der Kriegsgräberstätte und fokussiert Einzelbiografien im gesamten, weiten Spektrum der dort ruhenden Kriegstoten. Dieser friedenspädagogische Ansatz eröffnet die Möglichkeit, in die Diskussion der Opfer-Mitläufer-Täter-Thematik einzusteigen und sich mit der leidvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts und den daraus zu ziehenden Lehren auseinanderzusetzen.

Barbara Zehnpfennig hatte von 1999 bis 2022 die Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Passau inne: „Wenn man feststellt, dass ein Ort, an dem man der Opfer des Zweiten Weltkriegs gedenkt, auch eine nennenswerte Zahl von Tätern birgt, dann sollte das die Art des Gedenkens grundsätzlich verändern. Denn man kann die Täter nicht einfach ignorieren oder gar stillschweigend der Opfer-Seite zuschlagen. Deshalb den Ort des Gedenkens zu wechseln, fände ich allerdings problematisch, weil das den Opfern nicht gerecht würde. Deshalb sollte man meines Erachtens ein differenziertes Gedenken pflegen – in Erwähnung der Täterschaft und auch des Zusammenhangs zwischen der NS-Herrschaft, der die Täter dienten, und der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs. Aus christlicher Perspektive ist Vergebung sicherlich das, was alle umfassen sollte. Das setzt aber die Benennung der Schuld voraus. Diese ist zwar individuell unterschiedlich, aber bei der Zugehörigkeit zur SS doch ziemlich zweifelsfrei gegeben.“

Bayerischer Soldatenbund 1874 e.V.

Der Bayerische Soldatenbund wurde 1874 als Veteranen- und Kriegerverein gegründet. Von ihm heißt es: „Diese Täter werden zu einem gewissen Teil aber eben auch Opfer gewesen sein, noch zumal die SS nur anfangs aus Freiwilligen bestand und im Verlaufe des Krieges Personal über die Wehrpflicht zwangsrekrutierte. Und ja, auch Angehörige der Wehrmacht verhielten sich nicht immer soldatisch korrekt und wurden zu Tätern, wie wir heute wissen. Die Arbeit des Historikers MdL Anton Schuberl ist anerkennenswert, er würde bei weiteren Recherchen auf kommunalen und Soldatenfriedhöfen vermutlich zu ähnlichen Ergebnissen kommen.

Dass die Gedenkveranstaltung in Hofkirchen für den Passauer Landrat nicht zur Diskussion steht, ist für den BSB deshalb nachvollziehbar, wir teilen diese Auffassung ausdrücklich. Dort sollte weiterhin der Opfer gedacht, aber gleichzeitig die Existenz möglicher Täter-Gräber nicht verschwiegen werden. Der Volkstrauertag hat dort nach unserer Auffassung weiter einen würdigen Veranstaltungsort. Anderenfalls könnten 2378 der 2747 Opfer deshalb in Vergessenheit geraten, weil sie mit Tätern beerdigt wurden. Aus Sicht des BSB sollten die Friedhofsbesucher über die Ergebnisse der Recherche an gut sichtbarer Stelle des Friedhofes informiert werden.“
Nikolaus Saller, Vorsitzender des Arbeitskreises KZ Nammering

„Ich finde nichts Verwerfliches daran, die Feier zum Volkstrauertag weiterhin in Hofkirchen zu begehen“, sagt Nikolaus Saller, Vorsitzender des Arbeitskreises KZ am ehemaligen Bahnhof Nammering. „Das hat sich eingebürgert, ist der richtige Ort“, meint er. Man gedenke ja nicht der Übeltäter, sondern der Opfer. „Und die sind es wert, dass man dort ist und an sie denkt“, sagt er. Die SSler würde er nicht besonders erwähnen bei den Feierlichkeiten, sondern sie vielmehr „übergehen“. Wenn man wirklich eine neue Örtlichkeit für den Volkstrauertag suchen würde, schlägt Saller den Eginger Friedhof für KZ-Opfer vor. „Der Friedhof ist nicht so groß wie in Hofkirchen, aber hier liegen nur die Opfer vom KZ-Transport, 171 an der Zahl“, sagt er. Derzeit finden dort Bauarbeiten statt, die Mauern werden neu aufgesetzt. „Dort wäre für eine größere Feier auch Platz und es gäbe auch Parkplätze“, sagt er.

Sozialverband VdK mit Willi Wagenpfeil

Der Sozialverband VdK ist alljährlich Veranstalter des Volkstrauertags in der Gedenkstätte Leithen bei Hofkirchen. In Rücksprache mit Willi Wagenpfeil, Kreisvorsitzender des VdK Vilshofen und langjähriger Bürgermeister von Hofkirchen, gibt es vom Landesverband diese Einschätzung: „Die traditionelle Beteiligung des VdK am Volkstrauertag war und ist vom Gedanken getragen, dass die Opfer beider Weltkriege zum Frieden mahnen und nicht dazu dienen dürfen, den Krieg zu verherrlichen oder Kriegsverbrechen zu relativieren. ‚Heldenverehrung‘ ist also niemals das Motiv des VdK für die Teilnahme am Volkstrauertag. Im Gegenteil: Auch in der oft als ‚Soldatenfriedhof‘ bezeichneten Gedenkstätte sind Frauen und Kinder und andere Zivilpersonen beerdigt, die durch Kriegshandlungen ums Leben kamen. Das würdevolle Gedenken an alle Kriegsopfer steht deshalb im Mittelpunkt. Gleichwohl ist sich der VdK Vilshofen, im Austausch mit dem Landrat und dem Volksbund, der Historie dieses Ortes bewusst und verschließt sich auch nicht den neuen Erkenntnissen zu den dort begrabenen Menschen. Deshalb werden gerade aktive Formen des Gedenkens erarbeitet.

Aktuell entsteht ein Projekt in Zusammenarbeit mit dem Gymnasium Pocking, in dem eine Lehreinheit für Schüler der 9. und 10. Klassen entwickelt wird, die sich mit der besonderen Rolle der Region während der NS-Zeit beschäftigt. Geplant ist unter anderem auch der Einbezug der Gedenkstätte als Lernort. Die ersten Erfahrungen aus diesem Projekt werden sicherlich in die Art des Gedenkens am Volkstrauertag 2023 einfließen, der auch wieder in der Gedenkstätte stattfinden soll.“

Dekan Jochen Wilde, evangelische Kirche

Jochen Wilde, Dekan der evangelischen Kirche in Passau, erklärt: „Aus meiner Sicht steht das Gedenken am Volkstrauertag generell im Zeichen der mahnenden Erinnerung und der Trauer über erlittenes Leid und Unrecht. Auch die Frage nach persönlicher oder institutioneller Schuld darf dabei nicht ausgeklammert werden. Deshalb stellt sich für mich die Frage, ob Marschmusik und allzu militärische Attitüde diesem Anlass überhaupt gerecht werden. Die Bundeswehr selbst sagt auf ihrer Homepage: Beim Gedenken an gefallene Soldaten und Soldatinnen geht es nicht um Heldenverehrung, sondern vor allem um Respekt.

Im konkreten Fall von Hofkirchen macht die Tatsache, dass dort auch 369 SS-Männer und weitere KZ-Beschäftigte begraben sind, eine differenzierende Gestaltung der Gedenkfeier zwingend erforderlich. Alles andere wäre eine nochmalige nachträgliche Verhöhnung der Opfer. Die Wahrheit kann nicht einfach ignoriert oder verleugnet werden. Ich halte eine entsprechend differenzierende Gestaltung der Gedenkfeier im Übrigen nicht nur für unerlässlich, sondern auch für realisierbar im Sinne eines würdigen Rituals. Dass dies notwendig und möglich ist, erleben wir als Geistliche immer wieder. So stand ich selbst schon wiederholt vor der Herausforderung, einen überführten Mörder kirchlich bestatten zu müssen. Es versteht sich von selbst, dass in solchen Fällen auch Schuld, moralisches Versagen und Unrecht beim Namen genannt werden müssen. Sollte der Soldatenfriedhof Hofkirchen weiterhin der Ort der Gedenkveranstaltung am Volkstrauertag bleiben, müssen nach meinem Dafürhalten die historischen Erkenntnisse bei der Gestaltung zwingend und angemessen berücksichtigt werden.“

Die katholische Kirche – das Bistum Passau wurde angefragt – wollte sich nicht dazu äußern.

Hintergrund

Die Gedenkstätte Leithen bei Hofkirchen ist der größte Friedhof für Opfer des Zweiten Weltkriegs in Bayern.

Die Kriegsgräberfürsorge in Deutschland wird durch das Gräbergesetz geregelt. Kriegstote haben demnach ein dauerndes Ruherecht. Zudem kommt gemäß der Genfer Abkommen jedem Menschen das Anrecht auf ein würdiges Grab zu. Das Kriegsgrab erfährt zudem einen besonderen Schutzstatus, aus dem sich wiederum das dauernde Ruherecht ableitet.

Das Anlegen, die Instandsetzung und Pflege der Kriegsgräber im Inland ist grundsätzlich den Bundesländern übertragen. Der Freistaat Bayern hat diese Aufgabe an die Gemeinden delegiert. In Bayern sind heute an rund 540 Orten ca. 167000 Tote bestattet, auf die das Gräbergesetz Anwendung findet.


2747 Menschen sind in der Kriegsgräberstätte Hofkirchen beerdigt, darunter 369 SS-Männer

 

Quelle: plus.pnp.de —Sandra Matthes

Mehr im Vilshofener Anzeiger vom  29.04.2023 oder unter PNP Plus nach einer kurzen Registrierung

 

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