Garham.
„Dass ich 80 werde“, sagt Sepp Weiß, „das hätte ich nicht gedacht.“ Sein Ausspruch gleich zur Begrüßung lässt den Besucher ein wenig stutzen. Dem Altbürgermeister geht es doch augenscheinlich gut. Er wuselt zwischen Küche und Arbeitszimmer hin und her, findet alle Unterlagen auf Anhieb, erzählt mit wachem Geist, was sich so alles tut kurz vor seinem 80. Geburtstag, den er am Montag feiern kann.
„Das hat zwei Gründe“, erzählt der Mann im weiß-blau karierten Hemd und den auffallenden Hosenträgern. „Mit 35 Jahren habe ich einige Lebensziele notiert. Zum einen stand darauf, dass ich 25 Jahre lang Bürgermeister sein möchte. Und dass ich 75 Jahre alt werden möchte.“ Beides hat er über Maß erfüllt.
Der zweite Grund: Ihm ging es vor einigen Jahren nicht gut. Seine Frau Anna, die er liebevoll „Annal“ nannte und mit der er über 50 Jahre verheiratet war, starb vor gut vier Jahren von einem Tag auf den anderen an einer Lungenembolie. Dann folgten bei ihm Operationen an der Hauptschlagader und an der Wirbelsäule. Er bekam zudem zwei neue Hüften. „Wäre ich heute so beieinander wie vor zwei Jahren – ich hätte meinen Geburtstag nicht gefeiert.“
Jetzt, wo es ihm wieder prima geht, hat er groß angerichtet für eine Feier zu seinem 80. Geburtstag. Er hat alle, die ihn auf seinem Weg durchs Leben begleitet haben, ins Vereinsheim in Reitern eingeladen. Sind das dann nicht alle, die Sepp Weiß kennt? Wer hat ihn nicht begleitet auf diesem langen Weg durch die Kommunalpolitik? Er war 42 Jahre für die Gemeinde tätig, anfangs als Gemeindeschreiber, der sich aus einfachsten Verhältnissen hochgearbeitet hatte, dann 30 Jahre als Bürgermeister. „Ja, da waren viele auf dem Weg“, kommt Sepp Weiß ins Sinnieren. Er möchte alle noch einmal um sich scharen, das große Gemeinsame fühlen und genießen.
Politik für die Gemeinde war das eine – aber da war ja auch noch die Musik, vor allem die Kirchenmusik. Sepp Weiß hat 60 Jahre in Garham die Kirchenorgel gespielt und den Kirchenchor geleitet. 45 Jahre war er Dirigent und Leiter des Garhamer Männerchors. Sepp Weiß war der Motor in Gemeinde und Pfarrei; ein Macher, der die Entwicklung beider Institutionen vorantrieb und prägte.
Weiß ist der einzige Ehrenbürger HofkirchensEs wird also voll werden am nächsten Freitag im Vereinsheim neben dem Sportplatz. Es wird viel Anerkennung geben. Noch einmal. Denn Sepp Weiß hat in der Vergangenheit schon sehr viel Dank, Respekt und Würdigung erfahren: Er ist nicht nur zum Altbürgermeister ernannt worden, sondern wurde in Anerkennung seiner Verdienste Ehrenbürger der Marktgemeinde Hofkirchen – der einzige. Sein Nachfolger Willi Wagenpfeil verpasst keine Gelegenheit, die Arbeit von Sepp Weiß zu loben. „Wir stünden nicht da, wo wir stehen, wenn wir den Sepp Weiß nicht gehabt hätten“, sagt Wagenpfeil. „Er ist der Vater unserer heutigen Gemeinde.“
Sepp Weiß kann sich noch genau daran erinnern, wie es Anfang der 1970er Jahre war, als die Gebietsreform anstand. Garham sollte nach Eging eingemeindet werden. Hofkirchen sollte Teil von Vilshofen werden. Die Garhamer hatten sogar schon für einen Anschluss an Eging gestimmt. Doch Weiß, der Bürgermeister, zögerte. Er wusste um die Konsequenzen. „Reitern wäre zu Vilshofen gekommen – wir hätten nicht einmal einen eigenen Sportplatz mehr“, nennt er ein Beispiel.
Es kam Dank des Einsatzes von Sepp Weiß anders. Er hat die Weichen dafür gestellt, dass Hofkirchen und Garham 1978 zu einer Gemeinde zusammengeschlossen wurden. Eine andere Großtat: Der Autobahn-Anschluss in Garham. Das war 1973. Heute können die Früchte geerntet werden mit den Gewerbebetrieben, die sich in der Nähe der Autobahn-Ausfahrt ansiedeln.
Sepp Weiß ist ein Garhamer. Hier wurde er geboren, hier hat er gegenüber dem Elternhaus selbst ein Haus gebaut, hier hatte er Familie, hier ist seine Heimat. Dass er sich als Bürgermeister auch in Hofkirchen zuhause fühle, half dabei, dass die Dörfer zu einer Gemeinde zusammenwuchsen, auch wenn es gelegentlich – wie bei Wahlen – kleine politische Querelen gibt. Der Marktgemeinde Hofkirchen geht es gut. Die Weichen dafür hat Sepp Weiß gestellt.
Er geht durchs Wohnzimmer hinaus auf die Terrasse. Der große Garten ist mit Maschendraht eingezäunt. Ein großer Zwetschgenbaum und eine schöne Linde dominieren das Bild. Wenn er die Wiese mäht, lässt er auf mehreren Quadratmetern die Blumen stehen. In das einstige Gemüsebeet hat er Blumensamen gestreut.
Hier sitzt er am Abend, macht sich eine Halbe Bier auf und raucht eine Zigarre. Er lehnt sich zufrieden zurück. So gern er es hört, wenn man ihn lobt, meint er doch er kurz vor seinem 80. Geburtstag: „Ich habe mein Soll erfüllt.“ Damit meint er nicht nur sein Lebenswerk als Vater von drei Kindern, als Politiker und Musiker, sondern auch als Mensch. „Jedes weitere Jahr ist ein Geschenk.“
Die Zeiten ändern sich – „so ist es halt“Und wie er da so nachdenklich sitzt, kommt doch ein wenig Wehmut auf. Er bedauert, dass der Zusammenhalt in den Dörfern nicht mehr so ist, wie er einst war. „Es gibt immer weniger Wirtshäuser, die Raiffeisenbank hat zugesperrt, die Schule hat weniger Kinder, und wer weiß, ob wir noch einen Pfarrer bekommen, wenn unser jetziger Pfarrer in den Ruhestand geht.“ Sepp Weiß, von korpulenter Statur, ist auf der Bank ein wenig zusammengesunken, so sehr hat ihn die Last der Gedanken bedrückt. Doch plötzlich strafft sich sein Körper, blitzen die Augen. „Die Zeiten ändern sich. So ist es halt.“ Und so schlimm stehe es auch wiederum nicht mit der Dorfgemeinschaft. Da fallen ihm gleich die Feuerwehr Garham – „ein Aushängeschild“ – und der riesige Faschingszug ein.
Sepp Weiß freut sich auf die große Geburtstagsfeier, um deren Organisation er sich überwiegend selbst gekümmert hat. Er hofft, dass an diesem Abend auch das Garhamer Lied erklingen wird. Die drei Strophen hat er auf der Rückseite der Einladungskarte drucken lassen. –hr
Quelle: PlusPNP.de –hr