Das gute Geschäft mit einer stacheligen Pflanze
Die manuelle Stoffbearbeitung mit der Handraue war vor der Erfindung der Kratzenrauhmaschine eine gängige Methode zum Aufrauen des Gewebes unter den Tuchmachern. −Foto: Gemeindearchiv
Hofkirchen
Ein seltsames Gewächs prägte zu Beginn des 20. Jahrhunderts das landwirtschaftliche Erscheinungsbild im Gebiet rund um Hofkirchen und Außernzell. Zwischen Weizenfeldern gedieh ein übermannsgroßer Widerborst, der wenig zum täglich Brot für die Gemeinde beitrug, es jedoch vielen mollig warm machte. Wer jetzt ans Einheizen denkt, liegt falsch, denn die Rede ist von der Weber-Karde.
Ihr Fruchtstand war bei den Tuchmachern beliebt, half er doch, das Wollgewebe aufzurauen, ohne es zu zerreißen. Dadurch entstand eine flauschige, flanellartige Oberfläche, die den Tragekomfort erhöhte und zusätzlich schön warm hielt.
Innenministerium startete 1907 eine Karden-Kampagne
Die Anwendung der dornenförmigen, elastischen Spitzen fand anfangs manuell statt. Eingespannt in eine Handraue wurde der gespannte Stoff von Hand bearbeitet. Später wurden die Disteln längs durchbohrt und in eine Apparatur gesteckt, wo sie neben- und hintereinander rotierend den Stoff bearbeiteten.
Aufgrund des hohen Verschleißes verdienten die Außernzeller „Kardlbauern“ gut daran. Im Verhältnis zu anderen Feldfrüchten brachte der Kardenanbau einen wesentlich höheren Ertrag, mit dem vor allem die kleineren Bauern einen nicht unbedeutenden Zuverdienst erwirtschafteten. Und das Geschäft mit den Tuchmachern florierte.
Auf Anregung des Staatsministeriums des Innern wurde 1907 die Kardenkampagne vor Ort begonnen. Als Vorreiter in der Region galten Hengersberg und Hofkirchen, die bereits seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Woll- oder auch Tuchkarde blühen ließen. Über einen Zwischenhändler, der in Hofkirchen ansässig war, bediente man die Textilindustrie in Frankreich, Böhmen, Sachsen und Schlesien.
Eine mittlere Ernte erbrachte pro Tagwerk etwa 100000 Karden zu einem Preis von sechs Reichsmark je 1000 Stück. Die Pflanze machte allerdings Arbeit. Obwohl sie auf mageren Böden prächtig gedieh, war sie im Gegensatz zu anderen Feldfrüchten nicht auf einmal zu ernten. Das liegt daran, dass die Blüte versetzt eintritt und der Schnitt erst nach dem Abblühen vorgenommen werden konnte. Der Kardlbauer musste also mehrmals pro Woche auf die Felder, um die abgeblühten Fruchtkörper einzuholen. Der Volksmund bezeichnete diese Arbeit als sogenanntes Kardlstutzen. Die Kardln wurden anschließend am Hof auf den Trockenboden gelegt, bis die gewünschte Härte erreicht worden war.
Über drei Jahrzehnte war die Karde auf Äckern in Außernzell vorzufinden. Ihr Ende wurde mit einem Schreiben des Landwirtschaftsministeriums aus dem Jahr 1942 besiegelt. Darin stand Schwarz auf Weiß geschrieben, dass es für den Anbau keine Notwendigkeit in den Landkreisen Deggendorf und Vilshofen mehr gab. Die französische Karde hatte das regionale Produkt in seiner Qualität überholt. Ein weiterer Grund war sicherlich die schnelle Abnutzung der Dornen. Aufgrund eines häufigen Tausches war der Erfinderreichtum in dieser Hinsicht groß, das natürliche Vorbild durch Draht aus Messing, Eisen und Stahl zu ersetzen.
Doch auch die Kardlbauern fanden eine gute Alternative. Wo einst das Ackerland vom Distelgewächs geprägt war, hielt nach dem Anbaustopp die Kartoffel Einzug.
Die Weberkarde ist inzwischen aus der niederbayerischen Flora verschwunden. Weit verbreitet ist dagegen ihre Verwandte, die wilde Karde. Sie wächst vor allem auf Brachflächen. —Petra Killinger
Die Weberkarde ist in Deutschland in der freien Natur nur noch höchst selten anzutreffen. Der Fruchtstand von Dipsacus sativus diente nach dem Trocknen, dazu um Wollstoffe aufzurauen. −Foto: Ralph/Pixabay
Quelle: pluspnp.de –Petra Killinger
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