Hilgartsberger Bürger vor einer Schnellstraße, die direkt vor ihrem Dorf liegt. Sie machen sich dafür stark, dass man auf der Straße nur noch 70 statt – wie bisher – 100 fahren darf. Denn immer wieder sei es hier zu Unfällen oder brenzligen Situationen gekommen. Zuletzt krachte es am Samstag. Doch Behördenvertreter haben sich jetzt gegen das geforderte Tempolimit ausgesprochen. − Foto: Rücker
Hilgartsberg. Es dauerte nicht lange, bis die Bürger da waren. Sie hatten gehört, dass Männer ihr Dorf besuchen, die Einfluss haben. Einfluss darauf, ob in Hilgartsberg eine Geschwindigkeitsbegrenzung eingeführt wird, die man in dem Dorf herbeisehnt: Statt 100 soll künftig nur noch 70 km/h gefahren werden – auf einer Schnellstraße vor dem Dorf. Man trug Argumente vor, einer der Bürger legte sogar mathematisch dar, warum 100 gefährlich sei. Doch am Ende half alles nichts: Besagte Männer – sie vertraten Behörden, die über das Tempolimit entscheiden müssen – erklärten, dass an Tempo 100 nicht gerüttelt wird. Daraufhin soll es zu intensiven Diskussionen gekommen sein, wie Teilnehmer der nicht-öffentlichen Verkehrsschau berichten.
Die Marktgemeinde Hofkirchen, die an der Verkehrsschau nicht teilnehmen durfte, erhielt am Tag danach Anrufe von Hilgartsberger Bürgern. Grundton: Warum ist eine Tempobeschränkung nicht möglich? Muss erst ein tödlicher Unfall passieren?
Das Ergebnis der Verkehrsschau, sagt Hofkirchens SPD-Bürgermeister Willi Wagenpfeil, „ist alles andere als erfreulich“. Doch handeln kann Wagenpfeil nicht, denn entscheiden, wie schnell auf der Straße gefahren wird, können nur die Teilnehmer der Verkehrsschau: Das Landratsamt Passau als Anordnungsbehörde, das Staatliche Bauamt Passau als Eigentümer der Straße und die Polizei.
Die Verkehrsschau hatte CSU-Landrat Franz Meyer im Frühjahr vorgeschlagen, nachdem auf besagter Straße zwei Autos zusammengekracht waren. Nach dem Unfall war der Ruf nach einem Tempolimit laut geworden – wie bereits in den Vorjahren, in denen es immer wieder Vorfälle gab. Doch bis heute darf man bei Hilgartsberg 100 fahren.
Was spricht gegen Tempo 70? Landratsamts-Sprecher Werner Windpassinger sagt: Eine Tempo-70-Zone ist „rechtlich nicht zulässig“. Möglich wäre sie zum Beispiel bei schlechten Sichtverhältnissen oder bei Straßenverhältnissen, die „eine höhere Geschwindigkeit nicht zulassen würden“. Doch beides sei in Hilgartsberg nicht der Fall.
Gegen eine Tempobeschränkung spreche außerdem, dass Hilgartsberg – laut Polizei – kein Unfallschwerpunkt sei. Aus dem Landratsamt heißt es: „Die der Polizei gemeldeten Verkehrsunfälle der letzten Jahre reichen zahlenmäßig nicht aus“ für eine Tempobeschränkung. Zudem seien sie „an unterschiedlichen Örtlichkeiten und aufgrund grober Fehlverhalten der Verkehrsteilnehmer entstanden“.
Rainer Koll, einer von ungefähr acht Hilgartsbergern, die bei der Verkehrsschau dabei waren, sagt: „Die Verkehrskommission hat eine Voreinstellung gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Und wenn man eine Voreinstellung hat, findet man auch immer Gründe.“ Aber wenn die Rechtslage halt gegen eine Tempo-70-Zone spricht? „In jedem Gesetz“, sagt Rainer Koll, „gibt es einen Ermessensspielraum. Man muss sich die Situation im Einzelnen anschauen, um dann ein Gesetz richtig anzuwenden.“ Behörden contra Bürger. Immer wieder gibt es in der Region solche Fälle. Zum Beispiel: In Aunkirchen störte man sich daran, wie der Mittelstreifen der Fahrbahn aufgezeichnet ist. Dann kam Landrat Meyer und entschied, dass eine neue Mittellinie aufgetragen wird. Oder: Wegen einer Baustelle in Galla wurde die Zufahrt auf Tempo 50 beschränkt. Das leuchtete nicht ein, weil keine Beeinträchtigung durch die Baustelle ersichtlich war. Wieder kam der Landrat, sprach sein Machtwort und alles war gut.
Wenn es nach Grünen-Kreisrätin Halo Saibold geht, müsste der Landrat jetzt wieder handeln. Saibold, in der Gemeinde Aldersbach daheim, nutzt öfters die Strecke Waizenbach – Langholz, die von Vilshofen in Aldersbacher Richtung führt und vor einigen Jahren auf 70 beschränkt wurde. Saibold bat das Landratsamt „um genaue Auskunft über die Rechtsgrundlage für die Beschränkung“ auf besagter Strecke. „Ich bin nicht grundsätzlich gegen diese 70er-Beschränkung“, sagt Saibold. Doch: „Es wundert mich, dass hier die Beschränkung auf mehreren Kilometern durchgeführt wurde und in Hilgartsberg machen die Behörden so ein Tamtam“, sagt Saibold. Aus dem Landratsamt heißt es: Bei besagter Straße „gibt es eine Vielzahl von Gründen – tödliche Unfälle, Windunfallhäufungen, Kuppen, Kurven, gefährliche Ein- und Ausfahrten – , die Tempo 70 erforderlich machten“.
Manche treibt auch die Frage um: Warum gilt von Vilshofen bis kurz vor Hilgartsberg Tempo 70, dann aber nicht mehr? Eigentlich, erklärt Landratsamts-Sprecher Windpassinger, dürfte man auf besagter Strecke überall 100 fahren. Die Tempo-70-Zone gebe es deswegen, „da ein geologisches Gutachten feststellt, dass in diesem Abschnitt jederzeit mit Steinschlägen gerechnet werden muss“. Zwar wurde mit hohem Aufwand ein Fangzaun gegen Steinschlag errichtet – doch Tempo 70 blieb.
Es ist nicht so, dass die Hilgartsberger Verkehrsschau ohne Ergebnis verlief. Die Verkehrskommission hat beschlossen, dass Sträucher, die die Sicht auf die Schnellstraße verstellen, entfernt werden müssen. Entschieden wurde auch, dass die Polizei die Staatsstraße vor Hilgartsberg in diesem Jahr verstärkt beobachten wird.
Doch das ist den Hilgartsbergern zu wenig. Wirklich sicherer könne besagten Bereich nur eine Tempo-70-Zone machen. Anlieger Rainer Koll, von Beruf Ingenieur, drückt die Gefährdung in Zahlen aus: „Ich habe die Entfernung gemessen – zwischen dem Punkt, wo man aus Hilgartsberg ausbiegt und dem Punkt, wo man ein Auto aus Richtung Vilshofen sehen kann. Das sind 150 Meter. Meine Berechnung ergibt: Man hat 4,5 Sekunden Zeit, um das Auto zu sehen.“
Besonders für Kinder, Senioren oder Gespanne sei das viel zu kurz. „Russisches Roulette“ sei es, mit einem landwirtschaftlichen Gespann auf die Schnellstraße einzubiegen, habe Koll vom Hilgartsberger Landwirt Alois Zitzelsberger zu hören bekommen. Koll, Zitzelsberger und andere Hilgartsberger wollen deswegen weiterhin für Tempo 70 kämpfen. Sie spielen mit dem Gedanken, eine Petition an den Landrat zu verfassen. –Martin Maier