Wie zwei regionale Unternehmen Wasserstoff etablieren wollen
Das Henne-Ei-Problem von Wasserstoff-Fahrzeugen und -Versorgung haben zwei Mittelständler aus der Region Passau gelöst. −Foto: dpa
Vilshofen /Albersdorf
Sie haben sich zusammengetan, um Wasserstoff zu etablieren: die beiden Mittelständler Paul (Nutzfahrzeuge) und MaierKorduletsch (Kraft- und Schmierstoffe) aus Vilshofen (Landkreis Passau).
Noch in diesem Jahr wollen sie den ersten Wasserstoff-betriebenen Lkw der mittleren Größenordnung präsentieren. Gefertigt für Daimler bei der Firma Paul, angetrieben von Wasserstoff, den Shell liefert. Das heißt: Auch internationale Konzerne sind mit an Bord.
Wie es dazu kam, darüber sprechen Josef Paul (Gesellschafter) und Geschäftsführer Bernhard Wasner vom Nutzfahrzeughersteller Paul und Alexander Maier, Geschäftsführer von Treibstoff-Lieferant MaierKorduletsch, im PNP-Interview.
Wie kam es zur Gründung des ,Next Mobility Accelerator Consortiums‘?
Maier: Wir kennen und schätzen uns gegenseitig seit Jahren als Menschen und als Unternehmer. Für einen der großen Branchentreffs, die die Firma Paul regelmäßig veranstaltet, habe ich den Kontakt zu den Wasserstoff-Experten von Shell hergestellt. Und Shell war begeistert von Paul und der Expertise der Firma, die ja schon lange Batterie-elektrische Lkw umrüstet. Das funktioniert auch mit Wasserstoff. Uns wurde klar: Wir können das Henne-Ei-Problem lösen, also Tankstellen auf der einen Seite und tankende Lkw auf der anderen.
Josef Paul: Ich habe Herrn Debus von Shell von meinen Plänen erzählt, ein Fahrgestell mit Elektroantrieb und alternativ mit Wasserstoff-Antrieb zu bauen. So kamen wir näher ins Gespräch.
Bernhard Wasner: Innovationsgeist und visionäres Denken ist bei Paul eine Grundeigenschaft. So wurde zum Beispiel vor Jahren schon begonnen, mit Elektro-Lkw mit Oberleitung für Siemens oder einer Kooperation mit Streetscooter, Elektrofahrzeuge auf die Straße zu bringen. Seit 2017 haben wir dem „Vario“ von Daimler ein zweites Leben durch die Umrüstung mit einem Elektroantrieb gegeben. Das Modell ist vor allem bei Kommunen beliebt, wurde aber nicht mehr gebaut. In all diesen Erfahrungen haben wir natürlich ein großes Basiswissen aufgebaut. Jetzt sind die ersten Entscheidungen für Tankstellen und Fahrzeuge gefallen.
Was für Entscheidungen?
Wasner: Wir haben zwei große Konzerne an der Seite: Daimler als Lkw-Hersteller und Lieferant des Fahrgestells und Shell als Kunden und Lieferanten von Infrastruktur und Wasserstoff. Der Startschuss ist gegeben.
Ist das Next Mobility Accelerator Consortium, das Sie mit Shell gegründet haben, ein gemeinsames Unternehmen?
Wasner: Nein, es ist eine Arbeitsgemeinschaft. Seit einem Jahr treffen wir uns einmal pro Woche zur Video-Konferenz, in der alle Themen abgesprochen werden, um ganz gezielt gemeinsam vorwärts zu kommen.
Warum sehen Sie im Wasserstoff die Zukunft?
Paul: Mir war die Elektromobilität schon seit langem sehr wichtig, weil es ein großes Thema ist. Mit unseren Erfahrungen sehen wir aber, dass reine Elektroantriebe für Nutzfahrzeuge nur bedingt geeignet sind. Ich brauche ja ein Fahrzeug, das Kilometer und Fracht schafft. Im Lkw-Bereich sind die Batterien viel zu schwer, und der Ladevorgang dauert viel zu lange. Das ist unwirtschaftlich. Da war für mich der Wasserstoff die logische Lösung. Über die Jahre haben wir aber gesehen, dass unendlich viel Geld in Start-ups investiert wird, die vielleicht ein Fahrzeug entwickeln können, aber keine Stückzahlen und erst recht keinen Vertrieb und Service international schaffen. Dazu braucht es Partnerschaften.
Und die haben Sie?
Paul: Diese Themen können wir abbilden. Wir bauen bei der Firma Paul Nutzfahrzeuge 1500 Fahrzeuge pro Jahr zu Sonderfahrzeugen um. Wir haben ein sehr gutes Ingenieurteam. Wir können eine Serie für Wasserstoff aufbauen – zwischen 500 und 1000 Fahrzeuge im Jahr.
Wie funktioniert der Wasserstoff-Lkw?
Wasner: Die Basis ist der Elektroantrieb. Eine Brennstoffzelle produziert permanent Strom und treibt das Fahrzeug an. Die Batterie fängt nur die Spitzen ab, zum Beispiel beim Anfahren, oder sie wird geladen beim Bergabfahren. Uns ist aber wichtig, dass Komponenten verbaut werden, die industrialisiert sind, zum Beispiel der Antrieb von ZF. Damit gibt es ein weltweites Servicenetz und eine weltweite Teileversorgung. Und wichtig ist eben, dass genügend Wasserstoff-Tankstellen zur Verfügung stehen.
Wie sieht der Zeitplan aus?
Wasner: Wir zeigen am 10. Oktober auf der ITS in Hamburg (Anm.: Weltkongress für intelligente Mobilität und vernetzten Verkehr) ein Messefahrzeug. Parallel dazu bauen wir den ersten Prototyp, der zu Weihnachten fahrfähig sein soll. Und 2022 werden wir zehn oder 20 Vorserienfahrzeuge für die Kundenerprobung bauen. Wenn die Firma MaierKorduletsch die ersten Tankstellen fertig hat, müssen auch die ersten Fahrzeuge fertig sein. 2023 startet die Serienproduktion mit 200 Stück – oder mehr. Unser großer Vorteil: Als Mittelständler können wir viel flexibler agieren als große Nutzfahrzeughersteller. Wir starten in der Region Passau mit dem geplanten Markthochlauf, wo dann alles zur Verfügung steht – vom Service bis zur Tankstelle. Der Plan steht.
Maier: In Passau-Sperrwies wird parallel dazu die erste Lkw-Wasserstofftankstelle gebaut. Ein weiterer Standort mit sehr hohem Anspruch auf ein erneuerbares Energiekonzept entsteht am neuen Autobahnkreuz bei Pocking.
Haben Sie sich an der Wasserstoff-Strategie mit den milliardenschweren Förderprogrammen der Bundesregierung beteiligt?
Maier: Wir sind dabei. Es war der Wunsch des Landkreises und des Verkehrsministers, dass der Landkreis Passau sich an einem der Programme beteiligt. Wir müssen nur sicherstellen, dass uns die damit verbundenen bürokratischen Zwänge nicht unseren Schwung nehmen. Jetzt entsteht eine Konzeptstudie im Landkreis Passau, in die wir unsere Projektideen von vorneherein einbringen können. Wir brauchen keine neue Studie für die Schublade.
Was wäre ein sinnvolles Thema?
Maier: Es geht um das Potenzial in der Region; zum Beispiel um Fahrprofile von Unternehmen im Güterverkehr und im Öffentlichen Personennahverkehr und um Punkte, wo grüner Wasserstoff zur Verfügung stehen kann.
Wollen Unternehmen überhaupt ihre Fuhrparks auf Wasserstoff umstellen?
Maier: Die Umstellung ist natürlich teuer – trotz der Fördermittel. Aber: Unternehmen sind gezwungen ihre CO2-Werte zu senken, auch in ihren Lieferketten. Das ist ein marktwirtschaftliches Instrument, das wir begrüßen.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nannte kürzlich Wasserstoff den „Champagner“ unter den Treibstoffen, der nun zu Tafelwasser werden sollte. Ist das realistisch?
Maier: Es gibt Anwendungen, die nicht mit Batterie-elektrischen Lösungen zu erreichen sind. Das ist der Luftverkehr, Schiffsverkehr und der Schwerlastverkehr. Das sind Themen für Wasserstoff. Bei Pkw ist unserer Meinung nach die Messe gesungen. Die Politik hat der Batterie den Vorzug gegeben und hat nicht technologieoffen agiert, weshalb die großen deutschen Hersteller das Thema Wasserstoff bedauerlicherweise bisher nicht verfolgt haben.
Wie sehen die Kosten bei Wasserstoff aus?
Maier: Es gibt eine sogenannte TCO, total Cost of Ownership. Hier fließen sämtliche Fahrzeugkosten ein – von der Anschaffung über den CO2-Ausstoß bis zu Abschreibung, Maut und Treibstoffkosten. Wasserstoff dürfte sechs bis sieben Euro pro Kilo kosten.
Wasner: Wir haben die TCO bis 2030 hochgerechnet. Ungefähr 2024 könnten wir unter Umständen Parität zwischen Wasserstoff und Diesel erreichen.
Braucht es dann gar keine Förderungen?
Wasner. Doch. Darum wurde ja durch den Bundesverkehrsminister ein großes Programm aufgelegt, durch das 80 Prozent der Mehrkosten für ein Wasserstofffahrzeug gefördert werden. Wir sind lange über diesen TCO gesessen und haben alle Faktoren durchgerechnet. Wir sind davon ausgegangen, dass ein Wasserstoff-Lkw wie in der Schweiz Maut-befreit ist. Das hätte natürlich maximale Auswirkungen. Wenn die Politik aber schon 2024 die Maut für Wasserstoff-Lkw einführt, haben wir ein Problem. Auch die 80-Prozent-Förderung ist nur bis 2024 ausgelegt. Was kommt danach? Und: Für die Entwicklung des Fahrzeugs gibt es auch Förderungen, die sind aber eher hinderlich, weil diese auf Forschung und Entwicklung ausgerichtet sind. Wir bauen ausgereifte Systeme in ein vorhandenes Fahrzeug. Da muss ich nicht mehr viel forschen und entwickeln. Doch genau das wird am meisten gefördert.
Maier: Das stimmt. Es gibt genügend Erfahrungen. Jetzt muss man einfach mal machen.
Paul: Letztlich hat sich die Politik committet: Ab 1. August müssen Neuanschaffungen von Lkw oder Bussen in zum Beispiel kommunaler Anwendung klimaneutral sein. 2025 bekommen wir vermutlich die neue EU-Abgasnorm Euro 7, die den CO2-Ausstoß weiter reduziert. Das ist im Prinzip mit einem Diesel-Motor nicht mehr zu machen. Und 2030 kommt der nächste Stepp. Der Zeitdruck ist also da. Darum müssen wir jetzt anfangen mit der Umstellung.
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Entwicklungen nicht von anderen Herstellern übernommen werden?
Paul: Genau das ist natürlich ein Thema. Ich habe das in den vielen Jahren, in denen ich im Geschäft bin, einige Male erlebt, dass wir Marktbereiter waren.
Wasner: Der Vorteil für uns ist aber, dass die ganze Mannschaft mitzieht, weil wir uns frühzeitig mit neuen Technologien beschäftigen. Das begeistert auch die Mitarbeiter, dass wir uns den Weg in die Zukunft ein Stück weit selbst bereiten und uns in neuen Technologien positionieren.
Maier: Es gibt ja noch gar keinen Ausbildungsberuf, der sich mit den neuen Antrieben beschäftigt. Darum ist es wichtig, dass die Firma Paul jetzt ihre eigenen Mitarbeiter ausbildet und wir uns insgesamt als Kompetenzzentrum sehen.
Kann die Politik etwas positiv begleiten oder reicht es, wenn sie nicht stört?
Maier: Innovationsfreude darf eben nicht durch Bürokratie und Paragrafen ausgebremst werden. Die Gefahr besteht manchmal.
Was könnte das Projekt gefährden?
Maier: Ein wichtiger Punkt: Es kann nicht sein, dass in einzelnen europäischen Ländern Diesel so günstig ist, dass es gar keinen Anreiz gibt, sich einen Wasserstoff-Lkw zu kaufen. Da sind Fördergelder sonst wirklich in den Sand gesetzt. Und es nutzt auch dem Klima nichts.
Was planen Sie am Autobahnkreuz bei Pocking?
Maier: Am Autobahnkreuz von A3 und A94 stehen etwa 300.000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. Die Firma MaierKorduletsch hat einen Teil gekauft, wir wollen dort einen Autohof, unter anderem mit Wasserstoff-Tankstellen, bauen. Auch ein Elektrolyseur soll dort entstehen. Vor kurzem gab es ein Gespräch bei der Stadt Pocking, um zusammen auch mit dem Landkreis Passau im Vorfeld ein Energiekonzept für den gesamten Standort dort zu entwickeln. Im besten Fall könnte ein energieneutraler Industriestandort entstehen, was Gegenstand der erwähnten Konzeptstudie und hoffentlich späteren Förderung ist.
Wasner: Wir wollen in der Region pionierhaft ein Stück weit die Energiewende vorantreiben. In Pocking werden wir uns mit einer modernen Werkstatt am Autohof beteiligen, wo genau auch die neuen Themen alternativer Antriebe mit abgedeckt werden. Also ein Autohof der Zukunft, sozusagen.
Josef Paul, Gesellschafter der Firma Paul.
Bernhard Wasner, Geschäftsführer Nutzfahrzeuge Paul
Alexander Maier, Seniorchef von MaierKorduletsch
Quelle: pluspnp.de —Regina Ehm-Klier
Mehr im Vilshofener Anzeiger vom 05.06.2021 oder unter PNP Plus nach einer kurzen Registrierung