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Zweimal geflüchtet: Endlich ist Ruhe in das Leben von Karyna Holovnova (37) aus Garham eingekehrt

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Seit Februar 2023 leben Karyna Holovnova und ihre Familie in Deutschland, nachdem sie vor dem Krieg in der Ukraine geflohen waren. Sie ist angekommen in der neuen Heimat: Sie und ihr Mann haben schnell Arbeit gefunden, die Söhne gehen zur Schule und spielen Fußball. − Foto: Matthes
Garham

Zweimal hat Karyna Holovnova ihre Heimat verloren. Erst musste ihre Familie aus der Donbassregion im Osten der Ukraine in die Hauptstadt Kiew fliehen. Als die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs immer schlimmer wurden, entschieden sie sich zur erneuten Flucht, dieses Mal nach Deutschland.

Seit Februar 2023 wohnt Karyna Holovnova in Garham – ihr drittes Leben. Trotz aller Widrigkeiten, die sie in den vergangenen zehn Jahren erlebte, ist die Ukrainerin frohen Mutes. „Immer positiv bleiben“, sagt sie bei einer Tasse Tee im Café. In Deutschland ist sie voll angekommen.

„Alles war gut“

„In der Ukraine war alles gut vor dem Krieg, kein großer Unterschied zu Deutschland. Es gab Business, Krankenhäuser, Restaurants, Kultur, Cafés. Die Leute arbeiteten und reisten. Sie aßen Wurst und tranken Bier – so wie in Deutschland. Alles war gut“, erzählt die 37-Jährige.

Gebürtig aus Lugansk

Der Krieg begann für Karyna Holovnova 2014, als Russland weitgehend unbeachtet vom Westen die Krim besetzte. Karyna Holovnova lebte mit ihrer Familie in Lugansk in der Donbassregion im äußersten Osten der Ukraine, ihr Mann war Geschäftsführer einer kleinen Spedition. Als Russland Lugansk unter seine Kontrolle brachte, wurden Ukrainer entführt, gefoltert, exekutiert, zu Zwangsarbeit gezwungen. Es gab sexuelle Gewalt und ein Ukrainischverbot an Schulen, wie das Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Lage im Juli 2014 einschätzte.

Flucht mit einem einzigen Koffer

„Die Situation war schlimm. Wir konnten nicht mehr da leben, wir mussten umziehen“, sagt Karyna Holovnova. Ihr jüngster Sohn war zu diesem Zeitpunkt gerade mal zehn Monate alt. Sie packten einen einzigen Koffer und flohen mit den zwei Kindern Hals über Kopf in die Hauptstadt Kiew.

Kompletter Neustart

„Wir starteten von null. Neue Wohnung, neue Arbeit, neue Schule, neue Freunde“, erzählt Karyna Holovnova. Und der Start war alles andere als einfach: Wohnraum war teuer und rar. Es dauerte vier Monate, bis sie eine Wohnung für die vierköpfige Familie und die Schwiegereltern fanden. „Zu der Zeit war ja nur ein Teil der Ukraine von Krieg betroffen. Die Leute in der Hauptstadt verstanden unsere Notlage nicht“, blickt Karyna zurück. Doch die Familie ließ sich nicht entmutigen.

Bis Februar 2022 lief es gut

Karyna begann als Nachhilfelehrerin für Englisch zu arbeiten. 2015 versuchte ihr Mann, seine Spedition wieder auf die Füße zu stellen – mit einem einzigen Lkw, der bald im internationalen Warenverkehr zwischen der Ukraine, Georgien, Tschechien und Polen unterwegs war. Die Familie richtete sich in Kiew ein neues Leben ein, es lief gut. Bis Februar 2022.

Reisepass und Rucksack parat

„Eine Woche vor Kriegsbeginn kam im TV eine Nachricht, dass es bald Krieg in der Ukraine geben würde und die Bürger sich vorbereiten sollten. Wir haben Reisepass und Rucksack bereit gelegt“, erinnert sich Karyna Holovnova. Dann passierte – nichts. Bis sie eines Nachts um 4 Uhr morgens vom Lärm einschlagender Bomben geweckt wurden. „Da haben wir verstanden: Der Krieg kommt. Wir müssen weg.“

Keine Zimmer frei

Die Familie setzte sich ins Auto, der Vater lenkte das Fahrzeug gen Westen, ohne genauen Plan, nur weg. Als sie eine Bleibe für die Nacht suchten, gab es keine Zimmer, keine Wohnungen, weil sehr viele Ukrainer gleichzeitig flohen. „Wir mussten zu viert im Auto übernachten, im ukrainischen Winter. Es war sehr, sehr kalt, viel kälter als es in Deutschland im Winter wird, und es war sehr viel Schnee“, sagt die Mutter und blickt eine Weile stumm in die Ferne, bevor sie ihre Geschichte weitererzählt.

„Deutschland gefiel und gut“

Nach vier Tagen boten ihnen Bekannte, die im Westen der Ukraine lebten, an, bei ihnen unterzukommen. Sie blieben dort einen Monat. Im März schickten Karyna und ihr Mann die Schwiegereltern, die mittlerweile aus Kiew nachgekommen waren, mit den Kindern vor nach Deutschland. Wie sie auf Deutschland kamen? Eine Reise hatte sie in der Vergangenheit nach Deutschland geführt. Sie hatten Frankfurt und Stuttgart besichtigt. „Deutschland gefiel uns sehr gut, die Leute waren sehr nett. Da sahen wir auch eine Entwicklungsmöglichkeit für unsere Kinder“, so Karyna.

Kein Strom, keine Heizung, keine Arbeit

Sie und ihr Mann hingegen wollten versuchen, die gerade neu aufgebaute Spedition von der Türkei aus weiter zu betreiben. „Wir fuhren ein Jahr lang zu zweit im Lkw, ich und mein Mann. Wir machten Fahrten für humanitäre Organisationen“, erzählt Karyna Holovnova. Im Winter 2023 führte sie eine Fahrt zurück in die Region um Kiew. „Es gab keinen Strom, keine Heizung, keine Arbeit. In der Wohnung hatte es sieben Grad, wir froren in unseren Jacken. Da entschieden wir, nach Deutschland zu fliehen.“

Februar 2023: die zweite Flucht

Zudem erzählten die Schwiegereltern immer öfter davon, wie heftig der jüngere Sohn weinte, weil seine Mama nicht da war. „Das war Stress für mich und für ihn. Wir verstanden, dass wir keine Wahl mehr hatten. Wir mussten bei den Kindern sein, ihnen helfen mit der Schule. Uns noch einmal ein neues Leben aufbauen.“ Im Februar 2023 floh das Ehepaar von der Ukraine über Ungarn nach Deutschland.

Neue Heimat heißt Garham

Die Großeltern waren mit den Kindern in Garham bei Vilshofen untergekommen – dorthin zogen auch Karyna und ihr Mann. Mittlerweile leben sie zu sechst in einem Haus. Die Söhne gehen zur Schule und spielen Fußball. Karyna hatte Deutsch in der Schule gelernt und an der Universität ein Diplom als Fremdsprachenlehrerin für Deutsch und Englisch erworben. „Das Ankommen in Deutschland war deshalb leichter für mich“, sagt sie.

Seminarleiterin bei Brückenkurs

Ihr Mann hingegen sprach kein Wort Deutsch. „Er ist aber ein sehr zielorientierter Mensch. Er verstand, dass er die Sprache jetzt lernen musste, um eine Zukunft zu haben.“ Nach sieben Monaten schloss ihr Mann das Deutschzertifikat auf Stufe B1 ab. Heute arbeitet er als Disponent, während Karyna als Seminarleiterin beim bfz in Vilshofen tätig ist. „Ich gebe dort einen Brückenkurs für Flüchtlinge und Migranten“, erzählt sie. Sie bringt ihnen also die Sprache bei, aber auch die kulturellen Regeln in Deutschland, in engem Kontakt mit Jobcenter und Arbeitsagentur.

Immer in Panik

Mit Freunden und Familienmitgliedern aus der Ukraine hat Karyna Holovnova weiter Kontakt – einige sind in der Ukraine geblieben, andere sind nach Großbritannien und in die USA geflohen. Ein Cousin, 24 Jahre alt, ist in der Armee und kämpft in der Donbassregion. „Ich schreibe jeden Tag mit ihm und schicke ihm Pakete mit Essen per Post“, erzählt Karyna, „die Leute in der Ukraine leben und hoffen, dass alles gut wird. Aber sie lächeln nicht mehr. Sie sind immer in Panik und sehr ernst. Alles ist sehr teuer, Lebensmittel und Medizin, es gibt keine Arbeit und kein Geld mehr.“

Fahrradfahren und Flohmärkte

Karyna hingegen ist angekommen in Deutschland. Sie hat mit dem Fahrradfahren begonnen, was für sie etwas sehr Deutsches ist. Und sie war das erste Mal auf einem Flohmarkt und hat sich CDs gekauft. „Die Unterhaltung mit den Leuten dort war eine gute Erfahrung. Die Leute hier sind sehr freundlich.“

Ein ganz normales Leben

Und: Zu Ostern versteckten die Nachbarn ihren Söhnen Osternester im Garten. „Das war etwas Neues“, erinnert sie sich. „Ich habe hier deutsche Freunde, wir feiern zusammen Geburtstag und Weihnachten. Wir führen jetzt ein ganz normales Leben. Endlich kehrt Ruhe ein.“

 


So schaut Integration aus: Zu Ostern haben die Nachbarn den beiden Söhnen Osternester im Garten versteckt – ein Brauch, den sie aus der Ukraine nicht kannten.

 

 

Quelle: pnp.de —−− Sandra Matthes

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