Stabwechsel der Behindertenbeauftragten


Der Behindertenbeauftragte kümmert sich um die Sorgen, Nöte und Belange der Menschen mit Handicap, bearbeitet mit ihnen gemeinsam Anträge, beantwortet Fragen und schlichtet im Streitfall. −Foto: dpa

 

Passau

5 Jahre lang hatte sich Frank Reisinger im Landkreis Passau als Behindertenbeauftragter um die Sorgen, Nöte und Belange der Menschen mit Handicap gekümmert, mit ihnen gemeinsam Anträge bearbeitet, Fragen beantwortet und im Streitfall geschlichtet. Im Kreistag nun zog er Bilanz über die vergangenen eineinhalb Jahre und verabschiedete sich – aus gesundheitlichen Gründen könne er für das Amt nicht mehr zur Verfügung stehen, wie Landrat Raimund Kneidinger in Vertretung des entschuldigten Reisinger erklärte. Zwischen ihm, Halo Saibold (Grüne) und Anita Hofbauer (ÖDP) entfachte sich im Anschluss eine Diskussion über die Angemessenheit der Begrifflichkeit „Behindertenbeauftragter“.

Seinen Bericht hatte Reisinger, der von 2002 bis April diesen Jahres Kreisrat war und in der Sitzung nicht persönlich dabei sein konnte, schriftlich verfasst. Demnach hatte er zwischen 1. Januar 2019 und 31. Juli 2020 insgesamt 52 Anfragen von Menschen mit Behinderung erhalten und bearbeitet. 13 Mal ging es um die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung, fünfmal um Wohnungs- und Hausumbauten, ein arbeitsrechtlicher Vorgang war dabei, 16 Anfragen zum Thema Schwerbehinderung hat Reisinger bearbeitet, sechs Behördengänge mit Betroffenen absolviert und elfmal in privaten Streitigkeiten vermittelt. Für förderfähige Baumaßnahmen des Landkreises und seiner Kommunen musste Reisinger als Behindertenbeauftragter 29 Stellungnahmen erarbeiten, dabei ging es von der Errichtung von Buswartehäuschen über den Bau von Gehwegen bis zu Ortskernsanierungen. In neun Fällen gab er eine Stellungnahme zur förderfähigen Anschaffung behindertengerechter Busse ab.

Herzlich bedankt sich Reisinger in dem Schreiben für die stets gute Zusammenarbeit mit allen Stellen in den vergangenen 15 Jahren, „die mir die Arbeit als kommunaler Behindertenbeauftragter sehr erleichtert hat. Wahrscheinlich habe ich als Vollberufstätiger nicht allen Erwartungen und Wünschen nachkommen können, aber ich habe versucht, dieser anspruchsvollen Aufgabe, soweit es meine Möglichkeiten zuließen, gerecht zu werden.“ Seinem Nachfolger wünschte er „ein gutes Händchen bei den zukünftigen Entscheidungen“.

Der Kreistag musste also einen neuen Behindertenbeauftragten bestellen, vorgeschlagen wurde SPD-Kreisrat Willi Wagenpfeil. Da sich zwischenzeitlich die aktuelle Entschädigungssatzung für das Ehrenamt geändert hatte, musste auch eine Änderungssatzung erlassen werden.

Halo Saibold (Grüne) meldete sich: Sie lobte die gegenderte Schreibweise in der neuen Satzung, stieß sich aber am Begriff „Behindertenbeauftragte/r“. „Das ist ein eigenartiger Begriff, überhaupt nicht mehr zeitgemäß“, fand sie. Stattdessen schlug sie eine Formulierung wie „Beauftragte/r für Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ vor. Jetzt, wo dieses Amt neu zu bestellen und die entsprechende Satzung zu ändern sei, wäre ein guter Zeitpunkt dafür, argumentierte sie.

Landrat Kneidinger sah das anders. „Es geht um die Art der Tätigkeit, und ich bin schon dafür, dass die gleich aus der Bezeichnung hervorgehen sollte. Ein Behindertenbeauftragter kümmert sich um die Belange der behinderten Landkreisbürger. Deshalb belassen wir es bei dem Titel“, antwortete er.

Für die nächsten sechs Jahre kümmert sich nun SPD-Kreisrat und Bürgermeister a.D. Willi Wagenpfeil aus Hofkirchen um die Belange der Landkreisbürger mit Behinderung. Sein jahrelanges Engagement im VdK – seit 2002 unterstützt er die Selbsthilfeorganisation und ist seit 2012 Vorsitzender des Kreisverbands Vilshofen − qualifiziere ihn für die Beratung in Fragen der Behindertenpolitik. Jeweils einstimmig bestellte das Gremium Willi Wagenpfeil zum neuen Behindertenbeauftragten, änderte die Satzung und beauftragte die Verwaltung eine Neufassung der Satzung zu erstellen.

Einige Tagesordnungspunkte später – das Gremium hatte inzwischen die überplanmäßige Ausgabe beim Ausbau von kontaminiertem Material im Zuge des Teerskandals mit Gegenstimmen aus ÖDP und AfD genehmigt (PNP berichtete) – meldeten sich Halo Saibold und Anita Hofbauer noch mal zu Wort. „Eine Bezeichnung wie Behindertenbeauftragter gibt auch eine Haltung wieder, und das steht dem Landkreis nicht gut zu Gesicht“, sagte Hofbauer sichtlich aufgebracht an den Landrat gerichtet und zitierte aus dem Bayerischen Behindertengleichstellungsgesetz, das inzwischen auch anders heiße, nämlich „Bayerisches Gesetz zur Gleichstellung, Integration und Teilhabe von Menschen mit Behinderung“.

Ein Vorwurf, den Kneidinger nicht auf sich sitzen ließ: „Meine Haltung gegenüber unseren behinderten Mitmenschen ist nicht abwertend, das möchte ich in aller Deutlichkeit klarstellen. Ich bin selbst seit Jahren ehrenamtlich tätig in dem Bereich und kenne die Sorgen der Betroffenen. Es ist schade, dass mir so etwas unterstellt wird.“ Kneidinger ist seit vielen Jahren stellvertretender Kreisvorsitzender des VdK.

Dann übergab er das Wort an seine Büroleiterin Birgit Bachl, die die neue Satzung formuliert hatte. „Diese Vorwürfe gegen den Landrat weise ich entschieden zurück, die Sitzungsvorlage kam von mir“, sagte sie an Hofbauer gerichtet. „Die Satzung, die der Kreistag 2008 verabschiedet hat, lautet so und daran habe ich mich orientiert.“ Dabei habe sie über andere Formulierungen durchaus nachgedacht – auch, weil das Thema Gendern derartiger Schriftstücke bereits des Öfteren in Sitzungen Thema war – „aber ich habe mich dagegen entschieden und es bei der Bezeichnung von 2008 belassen“, so Bachl. „Das hat nichts mit der Einstellung des Landrats zu tun.“

„Ich habe Verständnis für unterschiedliche Meinungen“, sagte Kneidinger abschließend dazu. „Was ich allerdings nicht verstehe, ist, warum man solche Einwände erst in der Sitzung erheben muss, wo die Unterlagen allen Kreistagsmitgliedern im Voraus zugehen. Man kann mich jederzeit auf solche Dinge ansprechen.“

Auf Nachfrage der PNP erklärte der Landrat später: „Wenn man solche Einwände erst in der Sitzung bringt, erzeugt man natürlich eine Diskussion. Allerdings dient das nicht der Sache, denn ich kann nicht spontan in der Sitzung sagen, wir ändern das jetzt, wenn etwas erst noch juristisch geprüft werden muss.“

Hört nach 15 Jahren auf: Frank Reisinger (CSU).

Hört nach 15 Jahren auf: Frank Reisinger (CSU).

Übernimmt das Amt für sechs Jahre: Willi Wagenpfeil (SPD).
Übernimmt das Amt für sechs Jahre: Willi Wagenpfeil (SPD).

 

Quelle: pluspnp.de   —Tanja Rometta

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