Garham.
Den Optimismus haben sie schon lange verloren. Ihre Gesichter sind gezeichnet von Resignation, Trauer und vor allem auch Angst vor der Zukunft, denn gerade verlieren sie nicht nur ihre finanziellen Rücklagen, sondern auch das Erbe von mehreren Generationen. Wegen eines kleinen Käfers.
Einer dieser vom Schicksal Geplagten ist Thomas Ebner. Etwa zwei Monate ist es her, als er die Spuren des Borkenkäfers das erste Mal in seinem Waldstück fand. Inzwischen sind große Flächen schon dem Waldboden gleich. Insgesamt 4,7 Hektar Wald besitzt Ebner in Garham. Sein Großvater hatte ihn seinerzeit gekauft und an Ebners Mutter vererbt. Und eigentlich sollten irgendwann Thomas Ebners Söhne Jonas und Tobias den Wald einmal erben – finanziell haben die beiden aber nichts mehr davon. Der Borkenkäfer hat in dieser Hinsicht ihre Zukunft vernichtet.
Thomas Ebner hat zwei Theorien, wie es so weit kommen konnte. „Die Trockenheit und dass im Bayerischen Wald, als der Käfer dort war, nichts gemacht wurde“, erklärt er. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis der Käfer überall sei. In seinem eigenen Wald hat er das schon erlebt.
„Es ist brutal, innerhalb von einer Woche ist es explodiert“, schildert Ebner. Sei es zuerst nur das für den Käfer typische Bohrmehl gewesen, das an den Stämmen zu sehen war, sind es nun Hunderte Stämme, die braun und ohne Rinde in den blauen Himmel ragen. Auch Ebners Wald-Nachbarn Erich Habereder und Josef Drasch kämpfen gegen den Käfer – Elan haben sie dafür schon lange nicht mehr. „Man kann das Problem nicht mehr aufarbeiten, eigentlich ist es am sinnvollsten, stillzuhalten und den Käfer fressen zu lassen“, sagt Ebner resigniert. Den Kampf um seinen Wald hat er aufgegeben.
„Der Borkenkäferbefall hat ein in der Region noch nicht gekanntes Ausmaß angenommen“, sagte Forstdirektor Josef Kiefl vom AELF Passau (PNP berichtete). Mindestens 2000 Hektar der insgesamt 20000 Hektar Fichtenwald in Stadt und Landkreis Passau hat der Käfer allein 2019 zerstört. Schon seit 2003 führen Borkenkäfer zu Schäden in Fichtenbeständen. Die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft stuft den Landkreis Passau deshalb unter „Gefährdungsstufe mit akutem Befall“ ein. Es wird deutlich: Die Lage ist ernst. Daher hatte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner im August angekündigt, in der kommenden Woche einen Nationalen Waldgipfel zu veranstalten, bei dem über die aktuelle Situation der Wälder und Hilfsmaßnahmen diskutiert werden soll.
Thomas Ebner, Josef Drasch und Erich Habereder hoffen insbesondere auf finanzielle Förderungen und schnellere Hilfe. Denn wer befallene Bäume nicht innerhalb von drei Wochen fällt, dem droht im schlimmsten Fall ein Bußgeld von bis zu 50000 Euro – für die meisten privaten Waldbesitzer ein Ding der Unmöglichkeit.
Wenn Thomas Ebner durch seinen Wald geht, ist er still und betrachtet die toten Baumstämme voll Trauer. „Mir blutet das Herz“, sagt er angesichts der aktuellen Situation.
„Die Bekämpfung des Borkenkäfers und der Erhalt unserer Wälder liegt im Interesse der gesamten Gesellschaft“, sagte Forstministerin Michaela Kaniber im Juni. Dass die privaten Waldbesitzer deshalb im Fokus der Hilfe, insbesondere bei den Maßnahmen gegen den Borkenkäfer, stehen müssen, zeigen die Zahlen: 57 Prozent der 2,5 Millionen Hektar Wald in Bayern befinden sich in privater Hand.
Anfang September wurde bekannt, dass Niedersachsens Agrarministerin den Waldbesitzern nun 1,5 Millionen Euro an Soforthilfe zur Verfügung stellen will. Bereits im Juni hatte Michaela Kaniber die Mittel zur Bekämpfung des Borkenkäfers noch einmal erhöht. Aus Sicht der Waldbesitzer reicht dies nicht – sie sehen sich den Problemen, die durch den Borkenkäfer verursacht werden, nahezu hilflos gegenübergestellt.
Angesichts der vielen toten Bäume in Thomas Ebners Wald ist ihm den Handlungsbedarf umso deutlicher und er hofft, dass schnellstmöglich etwas passiert. Zwar endet der Flug der Borkenkäfer mit den kälteren Herbsttemperaturen, doch bis dahin bleibt er aktiv und bedroht die Wälder. Ebner appelliert deshalb insbesondere an die lokalen Politiker: „Gerade der Bayerische Wald ist doch ein Prachtstück von Bayern, da müssen sich die Politiker doch wirklich etwas einfallen lassen.“
Die Probleme, die sie bewegen, haben Thomas Ebner und die anderen Waldbesitzer kurz zusammengefasst.
PROBLEM 1: Keine Zeit und keine Firmen zum Fällen
Die Bissspuren des Borkenkäfers zeigt Thomas Ebner
Waldwirtschaft als Hauptberuf macht heutzutage niemand mehr. Es ist Fluch und Segen zugleich. Zwar sind die Waldbesitzer nicht ausschließlich auf den Wald angewiesen, andererseits haben viele Landwirte zurzeit mit der Maisernte zu tun und keine Zeit, gleichzeitig den Borkenkäfer zu bekämpfen. Thomas Ebner arbeitet den ganzen Tag im Landratsamt. „Ich kann nur am Wochenende rausfahren“, sagt er. Als er dann den Borkenkäferbefall entdeckte, war es schon zu spät. Inzwischen ist rund ein halber Hektar seines Waldes verloren.
Selber in den Wald gehen und Bäume fällen – dafür hat Thomas Ebner neben seinem Beruf weder Zeit noch Ausrüstung. Um die regulären Arbeiten im Frühjahr und Herbst konnte er sich noch selbst kümmern, inzwischen wachsen ihm die anfallenden Arbeiten über den Kopf. So geht es vielen privaten Waldbesitzern. Wer dann die Firmen, die sich um Fällen und Abtransport kümmern können, abtelefoniert, wird schnell frustriert sein. „Es sind 16 Stück und alle ausgebucht, wenn sie überhaupt ans Telefon gehen“, sagt Ebner. Um seinen Wald kümmert sich Max Seider von der Firma Forstservice Seider. Die beiden kennen sich – „wir nehmen nur noch Aufträge aus der Region an“, erklärt Seider.
Sie alle haben Unmengen Holz herumliegen: (v.l.) Thomas Ebner, Erich Habereder, Jonas Ebner, Max Seider und Josef Drasch
Meterhoch stapeln sich die Baumstämme in die Höhe. Sie sind sortiert: auf einem Stapel die Fixlängen, auf einem anderen das Holz, das wohl nur noch als Brennholz dienen kann – wenn überhaupt.
„Das liegt hier auch schon seit zwei Wochen“, sagt Thomas Ebner und streicht mit der Hand über einen der Stämme. „Einige waren an die 100 Jahre alt“, schätzt Erich Habereder beim Blick auf die Baumstämme. Es ist ein trauriger Anblick. Wenige Meter weiter stehen Fichten astlos wie Zahnstocher nebeneinander. Sie sind vom Borkenkäfer befallen worden – „der ist jetzt aber schon wieder raus“, sagt Habereder. „Wir haben Thomas empfohlen, die Bäume einfach stehen zu lassen“, sagt Max Seider. Nachdem der Käfer sie einmal befallen hat, ist ihnen nicht mehr zu helfen. Für Papier würden die Fichten noch herhalten – „aber die Papierfabrik nimmt auch kein Holz mehr“, sagt Josef Drasch. Bis die Stämme aus Thomas Ebners Wald abtransportiert werden können, wird es wohl noch dauern. Zwar schreibt eine Auflage vor, dass die Stämme 500 Meter vom nächsten Fichtenwald gelagert werden müssen – bei den lokalen Gegebenheiten ist das aber nicht einfach. Aktuell gibt es nur zwei geeignete Plätze in der Region.
PROBLEM 3: Holzpreise im Keller, Sägewerke verdienen weiterhin
Wald als Geldanlage – das war einmal. Durch den Borkenkäfer wird heute niemand mehr reich mit Holz, vielmehr kann er sich freuen, wenn er überhaupt die eigenen Kosten decken kann. Während es 2014 pro Festmeter Fichte noch etwa 100 Euro für den Waldbesitzer gab, bekommt er heute nur noch rund 25 Euro – im besten Fall. „Die Rohholzpreise haben sich aber nur minimalst nach unten verändert“, sagt Max Seider. Thomas Ebner, Erich Habereder und Josef Drasch sind sich sicher, wer profitiert. „Die Sägewerke sind heutzutage wählerisch geworden, es ist ein Glücksspiel“, sagt Thomas Ebner. Er hatte Glück – ein wenig Langholz ist er losgeworden. Was mit dem Rest passiert? Er weiß es nicht.
Auf einem weiteren riesigen Stapel liegen Baumkronen übereinander. „Früher gab es für den Hackmeter noch neun Euro, heute mit Glück noch zwei“, erzählt Max Seider. Thomas Ebner betrachtet die toten Bäume gar nicht erst. Wut aus Frust ist es, die alle drei Waldbesitzer bewegt. Frust über den Käfer, die Hilflosigkeit, die Sägewerke, die von der Situation noch profitierten. „Der Heizwert vom Holz ist ja unverändert“, sagt Thomas Ebner. Das Problem sei das riesige Überangebot, da so viele Wälder vom Borkenkäfer betroffen sind. „Jetzt kann man froh sein, wenn man das Holz zum Nulltarif loswird“, sagt Josef Drasch mit bebender Stimme. „Aber wo bleibt das Geld denn, kein Holzhaus, kein Brett ist billiger geworden“, fragt sich Thomas Ebner ebenso wie die anderen Waldbesitzer. Gemeinsam haben sie gerechnet – stimmen die Kalkulationen, sind es Millionen Euro Differenz zwischen dem, was sie für das Holz bekommen, und den Preisen für das Holz als Baustoff.
„Vor fünf, sechs Jahren habe ich mit meinen beiden Jungs geredet, was wir mit dem Wald machen sollen, da war er wenigstens noch was wert“, erzählt Thomas Ebner. Gemeinsam hatten sie sich allerdings entschieden, den Wald zu behalten, „es ist ja nicht einfach, etwas wegzugeben“, sagt Ebner. Angesichts der aktuellen Situation ist er nur noch froh, „wenn ich überhaupt noch irgendwas kriege“.
PROBLEM 4: Aufforstungspflicht schwierig und keine Förderung in Sicht
Ich mag gar nicht dran denken, was das Aufforsten kostet“, sagt Thomas Ebner. Sein Blick schweift über die großen kahlgeschlagenen Flächen, seine Gesichtszüge sind starr. „Das ist alles hin“, sagt er ähnlich einem Mantra. „Alles hin, alles hin…“
Schon einmal hat Thomas Ebner großflächig aufgeforstet, das war nach dem Sturm 1990. Der Förster riet ihm, Laubwald anzupflanzen. Heute steht Thomas Ebner vor dem, was davon übrig geblieben ist. „Die Linden sind nichts geworden, die Eschen haben das Eschentriebsterben bekommen, der Ahorn ist jetzt auch von einer Krankheit bedroht, ich weiß gar nicht, was ich noch pflanzen soll“, sagt er resigniert. Früher waren Fichten noch erfolgsversprechend. Schnellwachsend und gut als Bauholz nutzbar – heute sind sie die Leibspeise des Borkenkäfers. Bei seiner Aufforstung vor 30 Jahren gab es für Ebner einen Förderzuschuss pro Pflanze. Heute ist eine Förderung für Borkenkäfer-Geschädigte noch nicht in Sicht.
„Naturverjüngung ist am sinnvollsten“, sagt Max Seider. Beim Rundgang durch Ebners Wald zeigt sich allerdings, dass auch das nicht einfach ist.
Die Tannen und Fichten, die zwischen den Brombeerranken und Blaubeersträuchern Richtung Licht wachsen, sind nicht größer als 30 Zentimeter. Und doch sind sie keine jungen Triebe mehr. „Die haben überall Rehbiss“, sagt Josef Drasch, der einen der kleinen Bäume inspiziert. „Angeblich soll eine Förderung zum Einzäunen kommen“, sagt Max Seider. „Das ist doch nur Arbeit und null Verdienst“, regt sich Josef Drasch auf. Er ist wütend und gleichzeitig resigniert. „Was sollen wir denn jetzt machen?“, fragt er mit Tränen in den Augen. „Für den Amazonas hat die Regierung Geld, aber für Deutschland, für Europa ist nichts übrig, das kann doch nicht sein!“
Trotzdem geht Josef Drasch immer wieder durch seinen Wald und inspiziert die Bäume nach Käfern, ebenso wie Erich Habereder und Thomas Ebner. „Wir machen das aus Überzeugung und investieren in die Zukunft unserer Kinder“, erklärt Drasch. „Irgendwie machen wir das Beste draus.“