„Differenzierte Sichtweise“ auf Kriegsgefallene: Schüler präsentieren Biografien

Hofkirchen

Die Kriegsgräberstätte Hofkirchen: Eigentlich sollen hier rund 2770 Kriegsgefallene ihre letzte Ruhe finden. Doch seit 2022 öffentlich wurde, dass hier auch 369 SS-Männer begraben sind, gibt es großen Diskussionsbedarf um den Soldatenfriedhof und die Angemessenheit des jährlich dort begangenen Volkstrauertags. Um nun laut Willi Wagenpfeil, Vorsitzender des VdK-Kreisverbands Passau, „differenziert“ an die Gefallenen zu erinnern, gab es am Pockinger Gymnasium eine Projektarbeit, die Vorbild für andere Schulen sein soll.

Unter Anleitung des Geschichtslehrers und Oberstleutnants der Reserve Andreas Königer erarbeiteten 90 Schüler 16 Einzelbiografien und geschichtliche Hintergründe zur Kriegsgräberstätte Hofkirchen, die künftig auf Infotafeln vor Ort einsehbar sein sollen.

„Wir wollen nichts verschweigen“

„Wir wollen nichts verschweigen“, kündigt Wagenpfeil vor der Präsentation der Projektergebnisse an. Vielmehr habe es vor der Publikation der Studie von Historiker und MdL Anton Schuberl (PNP berichtete) für den VdK Sozialverband als Hauptorganisator des Volkstrauertags in Hofkirchen „keinen Grund gegeben“, zwischen den dort Begrabenen zu unterscheiden. Durch die Ermittlung seien laut Wagenpfeil „höhere Zahlen“ an SS-Angehörigen aufgetaucht, „als wir bis dahin hatten“. Deshalb wolle man jetzt „differenziert“ kommunizieren und erinnern und bei der jüngeren Generation damit anfangen – unter anderem durch das Angebot eines ganzen Unterrichtstags, den Schulklassen aus dem gesamten Landkreis künftig auf dem Soldatenfriedhof verbringen können.

Pädagogisches Pilotprojekt

Für das pädagogische Begleitmaterial dazu zeichnet Geschichtslehrer Andreas Königer vom Wilhelm-Diess-Gymnasium Pocking verantwortlich. Im Rahmen seines „Pilotprojekts“ hat er eine didaktische Begleitmappe erstellt – mit seinen Ansätzen und den Projektergebnissen, die „anderen Schulen als Bausteine dienen sollen“, um ähnliche Projekte zu verwirklichen. Königers Wunsch: das Schaffen einer Querachse im Landkreis durch die Einbindung anderer Gedenkstätten wie des Bahnhofs in Nammering oder des ehemaligen KZ-Außenlagers Hartkirchen. Die Beteiligung weiterer Bildungsinstitutionen wünschte sich auch Dario Vidojkovic, Bezirksgeschäftsführer des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., von welchem Königer für sein Projekt Bildungsreferent Maximilian Fügen unterstützend zur Seite gestellt wurde. In engem Kontakt hätten Königer und Fügen Archiv- und Quellenarbeit betrieben und die historischen Daten, die dem Schülerprojekt zu Grunde liegen, auf faktische Korrektheit geprüft.

„Geht nicht um Heroisierung“

Besonders stolz waren Schulleiter Stefan Stadler und Landrat Raimund Kneidinger auf das „Pilotprojekt“ der Gymnasiasten. Stadler betonte, „dass es dabei nicht um die Heroisierung dieser Männer geht“, sondern um die ernsthafte und herausfordernde Auseinandersetzung mit dem „schwierigen Thema“ der Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs. Mit „diesen Männern“ nahm Stadler Bezug auf die 369 SS-Soldaten, die neben Wehrmachtsangehörigen, Kriegsgefangenen, Mitgliedern der Polizei und zahlreichen Zivilisten – darunter auch Frauen und Kinder – in Hofkirchen begraben sind. Ein Umstand, der „eine differenzierte Sichtweise dringend notwendig“ macht. Dem schloss sich Kneidinger an und fügte hinzu: „Nicht jeder, der im Krieg war, war ein Kriegsverbrecher.“ Zudem erachte er es als wichtig, dass eine Schülergeneration, die oftmals in der eigenen Familie keine direkten Bezugspunkte zum Zweiten Weltkrieg mehr habe, auf anderen Wegen mit dem Thema konfrontiert werde. Nur so könne man „sich einfühlen, was Krieg bedeutet, und warum es wert ist, für den Frieden zu kämpfen“.

Schüler äußern auch Zweifel

Anschließend wurde den jungen Menschen selbst die Bühne überlassen. Sechs Schüler der ehemaligen 9. Klassen stellten ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Projekt, die Ergebnisse und die Erkenntnisse vor, die sie daraus gezogen haben. Während sie das Thema anfangs eher langweilig gefunden hätten, konnten sie sich während der Recherche immer weiter in die Biografien der Gefallenen hineinversetzen. Es entstand „eine seltsame Vertrautheit“ mit den jungen Männern, deren Leben sie untersuchten – vor allem mit dem erst 18-jährigen Karl-Heinz Büchner, der einen frühen Tod starb für eine politische Gesinnung, die er nicht teilte. „Tiefgründige Gespräche“ in den Arbeitsgruppen schlossen sich an, über die Sinnlosigkeit des Todes dieser Menschen, oder über den Umstand, dass Todesmeldungen teilweise erst Jahre nach dem Versterben der Gefallenen bei ihren Familien eintrafen und dann noch nicht mal von offizieller Stelle, sondern von Freunden oder Bekannten der Toten kamen.

„In einer digitalen Welt, in der man Nachrichten im Sekundentakt bekommt“, sei dies schlichtweg unvorstellbar. Auch Zweifel, die die Schüler bei der Pflege der Grabstätte in Hofkirchen überkommen haben, wurden geäußert. Ob man gerade das Grab von jemandem pflegt, der dies aufgrund seiner Verbrechen eigentlich nicht verdient? Darüber müsse man hinwegsehen, so eine Schülerin, denn es sei die „stillschweigende Verantwortung der aktuellen Generation gegenüber der vorherigen“, den Verstorbenen eine würdige Grabstätte zu schaffen und „alle Menschen zumindest im Tod gleich zu behandeln“. In allen Fällen empfanden die Schüler die Arbeit als „eindrucksvoll und bereichernd“.

Volkstrauertag wird stattfinden wie bisher

Weiter geht es nun mit der Einweihung der Infotafeln am Soldatenfriedhof. Eigentlich sollte die am Volkstrauertag stattfinden, müsste nun laut Wagenpfeil aber verschoben werden, da die Tafeln inhaltlich umfangreicher als gedacht und noch nicht fertig seien. Wann die Einweihung nachgeholt wird und wie viel das Projekt im Endeffekt gekostet hat, sei deshalb noch unklar.

Feststeht aber: Der Volkstrauertag wird stattfinden wie bisher, ohne Änderungen im Zeremoniell oder die vorangeschaltete Bezugnahme auf die neuen Erkenntnisse anhand der Tafeln.

BIOGRAFIE von Karl-Heinz Büchner

Besonders berührend ist die Biografie des jungen Karl-Heinz Büchner, der 1927 in Poritz im Landkreis Stendal geboren wurde. Hier wuchs er ländlich auf, ohne große Berührungspunkte mit dem nationalsozialistischen Gedankengut. 1944 wurde er zusammen mit seinem Vater als Soldat eingezogen. Bereits damals äußerte der junge Mann die Befürchtung, dass nicht beide aus dem Krieg heimkehren würden. Büchner wurde nach Bayern zur Grundausbildung geschickt und dort in die Infanterieeinheit versetzt. Nachdem er im Kampf verwundet wurde, kam er in ein Lazarett in Niederbayern. Zu dieser Zeit stießen die US-Truppen entlang der Donau bis nach Passau vor. Im Frühjahr 1945 konnte Büchner das Lazarett verlassen und wollte sich umgehend auf den Heimweg zu seiner Familie machen.

Auf seinem Weg zur Bahnstation in Moos in der Nähe von Plattling traf er allerdings auf einen US-Soldaten. Dieser beendete am 1. Mai 1945 mit einem gezielten Schuss Karl-Heinz Büchners junges Leben. Er war gerade einmal 18 Jahre alt geworden und musste, als die lang ersehnte Heimat schon zum Greifen nah war, sterben – und das kurz vor der vollständigen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai. Ein sinnloser Tod, dessen Hintergrund für immer ungeklärt bleiben wird. Büchner ist einer von vielen, der mit circa 2770 weiteren Gefallenen auf dem Friedhof in Hofkirchen begraben liegt.

 

Sprechen über ihre Erfahrungen mit dem Projekt: sechs Schüler des Wilhelm-Diess-Gymnasiums Pocking.  − Fotos: Verena Brandl

Willi Wagenpfeil (l.) bekommt von Landrat Raimund Kneidinger (r.) und Dario Vidojkovic die weiß-goldene Ehrennadel des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

Konzeptioniert und durchgeführt hat das Projekt Andreas Königer.

Quelle: pnp.de —−− Verena Brandl

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