„Dass Menschen ausgeschlossen werden, geht nicht“


In seinem Büro zuhause in Leithen und bei Ortsterminen in den 38 Landkreisgemeinden setzt sich Willi Wagenpfeil als Beauftragter des Landkreises für die Belange behinderter Mitmenschen ein. −Foto: Kain

 

Hofkirchen.

Lkr. Passau. Seit drei Jahren ist Willi Wagenpfeil Behindertenbeauftragter des Landkreises. Mit der PNP spricht er in einer Halbzeitbilanz über seine Aufgaben, Fehler der Vergangenheit und darüber, warum ein Beauftragter für 38 Kommunen nicht reicht.

Wie viele Menschen mit Behinderung gibt es im Landkreis?
Wagenpfeil: Aktuell gibt es über 19000 Einwohner, bei denen der Grad der Behinderung über 50 liegt. Das ist fast jeder zehnte. Viele bleiben daheim, weil sie draußen nicht zurechtkommen. Es gibt nicht nur bauliche Barrieren, sondern auch eine emotionale Schwelle, die manche Betroffene nicht überwinden wollen. Sie hätten es leichter, wenn sie wüssten, dass sie problemlos über den Marktplatz oder zum Bus kommen. Ein gesunder Mensch denkt in der Regel nicht darüber nach, welche Alltagssorgen Menschen mit Handicap haben. Dabei kann jeder in die Situation kommen, etwa durch einen Unfall.

Wo können Sie helfen und wo sind Ihnen die Hände gebunden?

Wagenpfeil: Ich bin kein Profi in Sozialrecht oder anderen juristischen Fachfragen. Mein Vorteil ist, dass ich als Behindertenbeauftragter am Landratsamt installiert bin, das mit kompetenten Ansprechpartnern sehr gut aufgestellt ist. Außerdem kann ich mich an weitere Fachstellen wenden, an Verbände wie VdK, Caritas, Blindenbund und mehr. Aber nicht jedes Problem ist lösbar. Es gibt Grenzen, zum Beispiel, wenn jemand mit einem ärztlichen Gutachten nicht einverstanden ist. Man kann dem Arzt nicht vorgeben, was er schreiben soll.

Welche Anliegen werden an Sie herangetragen?
Wagenpfeil: Die Themen reichten bisher von der Beschaffung eines Autos für einen Rollstuhlfahrer bis hin zur Frage, ob ein Arzt die Maske abnehmen darf, um einen hörgeschädigten Patienten zu beraten. Im Mittelpunkt steht aber die Barrierefreiheit – nicht nur für Menschen mit Bewegungseinschränkungen, sondern auch für Blinde und Gehörlose. Anliegen von Einzelpersonen sind eigentlich nicht mein Kerngeschäft, aber es wird natürlich jeder Vorgang bearbeitet. Meine Hauptaufgabe ist die Begleitung von Infrastrukturmaßnahmen, vor allem von Baumaßnahmen der Gemeinden.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wagenpfeil: Die Turnhalle der Mittelschule Rotthalmünster wird saniert. Als Behindertenbeauftragter werde ich informiert und gebe eine Stellungnahme ab. Dafür komme ich vorab zu einem Ortstermin. Die Meinungen können dabei auseinandergehen. Das ist oft eine Frage der Finanzierung, zum Beispiel wenn es darum geht, ob die zweite Ebene der Turnhalle auch ohne Aufzug erreichbar ist. Aber wir haben gemeinsam eine akzeptable Lösung gefunden. Ich war 18 Jahre Bürgermeister und kann mich in die Sichtweise der Gemeinden hineinversetzen. Aber dass Menschen aufgrund ihrer Behinderung von der Teilhabe ausgeschlossen werden, geht nicht. Wer Abstriche bei der Barrierefreiheit machen will, muss mich von der Notwendigkeit überzeugen.

Kam das schon vor?

Wagenpfeil: Eine Ausnahme war zum Beispiel eine zwei Zentimeter hohe Schwelle an einem Gehweg. Die betreffende Gemeinde hat nachvollziehbar argumentiert, dass dies aus Hochwassergründen notwendig ist. Ich habe das akzeptiert; im Gegenzug hat die Gemeinde den Gehweg entlang der Schwelle verbreitert. Wofür ich kein Verständnis habe, ist, wenn man heute noch innerorts Hochborde anlegt. Stattdessen müssen wir bei Sanierungen die Fehler der Vergangenheit korrigieren, wie das gebrochene Pflaster, das früher bei Ortskernsanierungen verlegt wurde, das aber nicht barrierefrei ist. Bei Neubauten machen wir diese Fehler nicht mehr. Aber ein Problem bleibt, dass die Bayerische Bauordnung die Ziele schwammig formuliert. Das ist nicht immer im Einklang mit den Vorgaben im Gleichstellungsgesetz. Fördermittel sollten an die Einhaltung dieser Vorgaben geknüpft werden.

Sie setzen sich dafür ein, dass alle Gemeinden einen Behindertenbeauftragten kriegen. Warum?

Wagenpfeil: Ein Beauftragter allein kann nicht alles im Landkreis regeln – daher meine Forderung, den Aufgabenbereich runterzubrechen auf die Kommunen. Der Landrat hat positiv darauf reagiert und ich habe das bei einer Bürgermeister-Dienstversammlung vorgebracht. Es gab schnell positive Rückmeldungen der Kommunen.

Wie viele Gemeinden haben schon einen Behindertenbeauftragten?
Wagenpfeil: Wir haben das im März abgefragt, weil wir im September alle Beauftragten zu einer Gesprächsrunde einladen möchten. Bisher haben 28 der 38 Kommunen einen Beauftragten. Mit dieser Quote bin ich sehr zufrieden, denn es handelt sich um eine freiwillige Leistung. Mit den zehn restlichen Gemeinden habe ich gesprochen, dort bemüht man sich weiterhin um das Thema.

In Neukirchen vorm Wald sieht man derzeit keinen Bedarf für einen offiziellen Beauftragten…

Wagenpfeil: Neukirchen hat etwa 3000 Einwohner, statistisch gesehen müssten dort also rund 300 Menschen mit Handicap leben. Aber selbst, wenn es nur einen gäbe: Es geht um jeden einzelnen Menschen. Über dessen Belange darf man nicht hinwegsehen. Ein Positivbeispiel ist Vilshofen, wo es einen Behindertenbeirat gibt. Ein weiteres Beispiel ist Fürstenstein, wo es in jedem der drei größeren Ortsteile einen Beauftragten gibt.

Wie stellen Sie sich idealerweise das Amt eines kommunalen Behindertenbeauftragten vor?
Wagenpfeil: Die meisten machen das aus Idealismus. Sie sind zum Teil durch ihren Beruf vorgeprägt, beim VdK oder haben Erfahrungen gemacht – selbst oder im persönlichen Umfeld. Die Beauftragten sollen aktiv Barrierefreiheit und Inklusion prüfen und Mängel an die Gemeinde melden. Dafür brauchen sie einen Ansprechpartner im Rathaus. In den Gremien gilt es dann zu beraten, was getan oder in die Finanzplanung aufgenommen werden kann. Ich setze mich auch dafür ein, dass die Beauftragten ein kleines Budget bekommen, etwa für Fahrtkosten.

Welche Ziele haben Sie bis 2026?

Wagenpfeil: Für die nächsten drei Jahre ist die Zielsetzung, das Amt des kommunalen Behindertenbeauftragten zu verankern. Dann haben wir eine stabile Arbeitsbasis, um für Menschen mit Handicap einzutreten. Bei der Umsetzung von Maßnahmen stellt sich für die Kommunen aber oft ein Finanzierungsproblem. Fördermittel gibt es nur im Rahmen der Städtebauförderung oder einer Dorferneuerung. Hier gibt es eine klare Lücke im bayerischen Finanzhaushalt.


Das Gespräch führte Sabine Kain.

 

Quelle: plus.pnp.de —−Sabine Kain

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